Beschreibung
“Ausgeschriebene Vorgaben werden dem jeweiligen Moment gemäß unendlich verändert. Als Solopianist kenne ich den Ausgangspunkt und das Ziel. Das Geheimnis liegt in den Überraschungen der Reise“, erklärt Benjamin Moussay seinen musikalischen Ansatz, in dem Komponiertes und Improvisiertes symbiotisch ineinander übergehen. Die Worte „Reise“ und „Überraschungen“ klingen natürlich immer sehr verlockend in den Ohren des aufgeschlossenen Musik-Fans, und die Erwartungen in das erste Solo-Album des längjährigen Mitstreiters von Louis Sclavis werden auch durchwegs erfüllt. Denn der 47-jährige Franzose hat zwölf auf angenehme Weise unprätentiöse, introspektive, melodisch und harmonisch leicht ins Ohr gehende Miniaturen erschaffen, die durchaus das Potential haben, einzeln für sich zu stehen, aber zusammen gehört ein in sich sehr stimmig wirkendes musikalisches Konglomerat ergeben. Der im Elsass aufgewachsene und in Paris lebende, klassisch ausgebildete Moussay ist einst zwar über ein Soloalbum von Thelonious Monk zum Jazz gekommen, hier wählt er aber über weite Strecken einen lyrischen Ansatz, der ihn in die Nähe der Spätromantiker, manchmal auch in Richtung Bartók oder eines ironiefreien Satie rückt. Das Titelstück „Promontoire“ ist einem ausgesetzten Felsgipfel über einem kleinen Bergsee in den Vogesen gewidmet, auf dem der begeisterte Alpinist hörbar die Ruhe und den ungestörten Blick in die Ferne genießt. Die impressionistisch hingetupften, düsteren Klänge von „Monte Perdido“ lassen den in den Pyrenäen gelegenen „Verlorenen Berg“ da schon als wagemutigere Herausforderung erscheinen, und das nervöse „Don’t Look Down“ ist wohl dem erhöhten Adrenalinspiegel des in der Steilwand befindlichen Bersteigers geschuldet – „Jetzt nur nicht hinunterschauen!“ Auch der unerwarteter Weise hoffnungsfroh klingende Opener „127“ ist diesem Metier verpflichtet, bezieht er sich doch auf Danny Boyles biographischen Film über den Bergsteiger Aron Ralston, der 127 Stunden mit dem Arm in einer Felsspalte eingeklemmt in einer Wand ausharren musste und sich nur unter höchst dramatischen Umständen befreien konnte. Weitere Stücke sind dem Faible Moussays, alte Stummfilmklassiker mit neuen Tönen zu versehen, zu verdanken – im konkreten Fall ging es um Jean Renoirs Zola-Verfilmung „Nana“. Der in ihrer Gier und Zerrissenheit tragisch-mondänen Frauenfigur ist ein ebenso stimmungsvolles Porträtstück gewidmet wie ihrem prominenten, reichen Opfer, mit dem es ob der unheilvollen Liaison zu einem mit Dissonanzen gewürzten bluesgetränkten Stück gnadenlos bergab geht. Manchmal braucht Benjamin Moussay nicht einmal zwei Minuten, etwa bei „Sotto voce“, um eine perfekt schöne, kleine Klangwelt zu kreieren, in der man sich gerne ohne Ende verlieren möchte. Oder im noch kürzeren „Chasseur de Plumes“, um der lebhaften Verspieltheit einer jungen Katze musikalisch Ausdruck zu verleihen. In ihrer geschickten Reduziertheit, Geschmacksicherheit und sympathischen Unaufdringlichkeit ist „Promontoire“ ein ganz spezielles Meisterwerk, das man gerne auf Dauerrotation stellt. (Füssl, Kultur Vorarlberg)
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